Ich mag dieses Mädchen sehr. Als ich in ihrem Alter war, habe ich mich nur mit mir selbst beschäftigt. Ich studierte Theaterwissenschaft weil es mir gefiel, eine unerwiderte Liebe plagte mich, und ich schrieb sogar ein Buch über mich selbst. Ich träumte davon, eines Tages eine großartige Autorin zu werden.
Die großen Probleme der Welt waren mit durchaus bekannt, doch ich fraß sie in mich hinein, umgab mich von ihnen und bildete mir ein, darüber zu stehen. Etwas besonderes zu sein, so wie all die großen Romanfiguren des zwanzigsten Jahrhunderts, die ihre Existenzkrisen im stillen inneren Monolog auslebten, mit der Technik des Bewusstseinsstroms von James Joyce. Ich hätte es zwar nie zugegeben, doch diese Art zu Leben gefiel mir. Tiefgründige Dialoge über die menschliche Intelligenz. Reflektionen zur historischen Entwicklung von Sprachen. Interpretationen postmoderner Kunstwerke.
Mir war nicht bewusst, was in der großen weiten Welt um mich herum geschah, und welch katastrophale Folgen die moderne Lebensart, meine eingeschlossen, für zukünftige Generationen haben würde.
Für Luisa Neubauer ist dieser Luxus undenkbar. Ihre Existenzkrise ist nicht ihre eigene, sondern die der gesamten Menschheit, gleichwohl die Mehrheit der Betroffenen sich dessen nicht bewusst zu sein scheint. Genau wie ich vor 18 Jahren. Viele ihrer Gegner halten ihr vor, dass Luisa aus einer privilegierten Familie stammt. Sie deuten auf ihre Schwachstellen und angebliches Fehlverhalten, zum Beispiel die Vielzahl an Reisen und Flügen, und das ständige Gerede über Probleme ohne eine Lösung anzubieten. Sie sei ein verwöhntes Kind.
Bei allem Respekt dem Alter derer gegenüber, die das sagen, und den Politikerinnen und Politikern gegenüber die sie nicht ernst nehmen wollen: gerade Sie verhalten sich kindisch. Sie sind ignorant und nur auf Ihr eigenes Selbstwertgefühl bedacht. Dieses Mädchen, dieses verzogene Kind, hat ein besseres Verständnis der globalen Probleme als alle alten Hetzer und Politiker zusammen.
Luisa hat im Gegensatz dazu gar keine Zeit sich gegen derartige Anschuldigungen zu wehren, und um ihr eigenes Ego zu befriedigen. Ihr Antrieb ist allein die Aufklärung über die nachhaltigen Veränderungen, die jeden Tag notwendiger werden. Und, diese Veränderungen anzustoßen. Falls Emotionen und verlorene Gesichter auf dem Weg zum Ziel liegen, wird sie diesen Weg einschlagen. Früher hätte ich ihr dafür hässliche Worte an die Stirn geschmissen. Heute kann ich nur sagen: weiter so. In diesem Fall heiligt der gute Zweck zurecht die Mittel.
Es könnte so einfach sein. Das Pariser Klimaschutz-Abkommen ist rechtlich bindend. Fast 190 Länder haben es im Dezember 2015 unterzeichnet. Und trotzdem sehen es die meisten Regierungen der Welt lediglich als eine Richtlinie, deren Umsetzung nicht einmal zweitrangig zu sein scheint. Es ist nicht so, dass sie jemand dafür zur Rechenschaft ziehen könnte, wenn sie es ignorieren.
Diese Leute haben den Sinn dahinter nicht verstanden. Um den Klimaschutz zu ermöglichen, müssen wir alle uns und unseren Alltag verändern. Dringend! Daran besteht schon lange kein Zweifel mehr. Alle, die etwas gegensätzliches behaupten, sind entweder zu alt oder zu reich, als dass es sie einen Scheißdreck interessieren würde, denn wenn es irgendwann auf der Erde hart auf hart kommt, liegen sie schon längst darunter. Oder sie haben Angst davor, auch nur einen Teil ihres Vermögens oder Komforts aufzugeben, und erfinden lieber haufenweise Ausreden um alles zu bewahren, wie es ist. Viele sind auch einfach ignorant.
Luisa Neubauer mag zu jung sein, um sich in der verstrickten Welt der Politik zurechtzufinden. Sie mag übereifrig erscheinen und manchmal zu Übertreibungen greifen, um ihrer Bewegung mehr Schwung zu geben. Sie mag Fehler machen, besonders im Umgang mit den Ängsten und Bedenken älterer Menschen. Sie hat eben den Nachteil, dass Sie zu den viel zu wenigen gehört, die begriffen haben, dass die Klimakrise ein echter globaler Notfall ist. Und sie ist Teil der noch kleineren Minderheit, die wirklich etwas dagegen unternehmen.